Wochenblatt – Gazeta Niemców w Rzeczypospolitej Polskiej

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Kultur bei der Zwangsarbeit

Das Nordinstitut „Wojciech Kętrzyński“ in Allenstein (Olsztyn) hatte am Faschingsdienstag (13.02.) zu einer ernsten Veranstaltung eingeladen. Prof. Piotr Majewski vom Institut für Nationales Gedenken (IPN) und der Kardinal-Stefan-Wyszyński-Universität in Warschau stellte dort im Gespräch mit Dr. Emilia Figura-Osełkowska sein zweisprachiges, deutsch-polnisches Buch „Bücher oder andere kulturelle Betätigungen gab es hier nicht… Kultur angesichts der Lebensrealität von Zwangsarbeit (Ostpreußen 1939-1945)“ vor.

Herr Prof. Majewski, bei der Veranstaltung in Allenstein gab es das grundsätzlich ernste Thema an einem heiteren Tag, in Ihrem Buch jedoch umgekehrt Erinnerungen an leichtere Momente in schwierigen Zeiten. Womit haben Sie sich genau beschäftigt?

Das Buch behandelt Aktivitäten im Bereich Kultur und Bildung polnischer Zwangsarbeiter auf dem Gebiet Ostpreußens während des Zweiten Weltkrieges. Es interessiert mich, ob unter den Bedingungen, die der Krieg mit sich bringt – wie etwa Zwangsarbeit –, noch Platz für Ambitionen bezüglich Kultur und Bildung ist – oder kurz gesagt, ob Menschen, die Zwangsarbeit leisteten, für kulturelle Betätigungen wie die Lektüre von Büchern oder Presse, Gesang und Musizieren, literarische und dichterische Versuche Zeit fanden. Es ist ein Blick auf die Geschichte aus der Perspektive individueller, menschlicher Erfahrungen konkreter Personen.

Das heißt, das Buch beruht auf den Erinnerungen konkreter Personen aus jener Zeit?

Ja. Was am wichtigsten und an diesem Buch interessant ist, ist der Fakt, dass es auf der Grundlage von Erinnerungen und Berichten von Menschen entstand, die im Zweiten Weltkrieg Zwangsarbeiter oder Kriegsgefangene waren. Von diesen Dokumenten, die zum Beispiel im Nordinstitut in Allenstein oder im Zentralen Museum für Kriegsgefangene aufbewahrt werden, gibt es sehr viele, anhand derer man nicht nur erforschen kann, welchen Zwängen und Repressalien diese Menschen ausgesetzt waren, sondern auch, wie sie ihre Freizeit verbrachten, welche Unterhaltungen sie hatten, was sie gelesen, gesungen und worüber sie sich unterhalten haben – sehr interessante Quellen.

Hatten die Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen überhaupt freie Zeit? Wenn sie in der Landwirtschaft eingesetzt waren, hatten sie sicher lange Arbeitstage …

Richtig. Schon vor Beginn der Forschungen war klar, dass es nicht viel von dieser Zeit gab, denn bildlich gesprochen dauerte die Arbeit von der Morgendämmerung bis in die Nacht, von sechs, sieben Uhr morgens bis 21 oder 22 Uhr. Am häufigsten geschah das, was ich im Buch beschreibe, also gesellige Unterhaltung, Musizieren, Singen, das Bilden von Theater- und Musikgruppen, Sport, das Schreiben von Gedichten oder Erinnerungen, spät abends beim miserablen Licht der Petroleumlampen oder am Sonntag, denn das war der einzige freie Tag, an dem man sich von der Arbeit losreißen konnte. 

Gab es bei den Chancen, sich kulturell zu betätigen, Unterschiede zwischen Stalags und Oflags (Stammlager und Offizierslager, Anm. d. Red.)?

Ja. Der grundlegende Unterschied bei Kriegsgefangenen war die Frage, ob sie Gefreite oder Offiziere waren. Offiziere kamen in Offizierslager, einfache Soldaten in Stammlager. In Oflags wurden internationale Konventionen, vor allem die Haager Konvention zur Behandlung von Kriegsgefangenen, in deutlich größerem Umfang eingehalten. Generell wurden Offiziere nicht zu Zwangsarbeit gezwungen; sie konnten ihre Zeit mit Weiterbildung verbringen. Kriegsgefangene im Rang einfacher Soldaten wurden faktisch als Zwangsarbeiter behandelt; ihnen gegenüber wurden die Konventionen gebrochen.

Und wie sah das bei den Lagerinsassen aus, die keine Soldaten waren?

Bei Zwangsarbeitern, die nicht Kriegsgefangene waren, hing das von der ethnischen oder nationalen Gruppe ab, also von der Nationalitäten-Politik des Dritten Reiches mit ihrer Hierarchie. Am schlimmsten traf es Zwangsarbeiter aus den besetzten sowjetischen Gebieten, aber etwa Ukrainer wurden besser behandelt als Polen, viel besser behandelt wurden Zwangsarbeiter aus Westeuropa, wobei der kulturelle Unterschied deutlich wahrnehmbar war. Polen standen weit unten auf der Leiter. Ausgeklammert habe ich Juden, da diese nicht in dem System für Zwangsarbeit ausgenutzt wurden, über das wir sprechen. Für sie gab es, wie wir wissen, das getrennte System der Vernichtung.

Gibt es eine Aktivität, eine Freizeitbeschäftigung, die Ihnen beim Studium der Quellen besonders aufgefallen ist?

Ich habe ein Beispiel bei den sportlichen Aktivitäten. Nicht allen Zwangsarbeitern gefielen die kollektiven Formen des Zeitvertreibs, es gab immer Individualisten unter ihnen, die Gedichte oder Erinnerungen schrieben, aber auch solche, die Sport trieben. Wer mir im Gedächtnis hängen geblieben ist, war ein Amateur-Bogenschütze. Er bastelte einen Bogen, schnitt ihn sich aus Ästen aus dem Wald zurecht und übte das Zielschießen auf einen Baum, um sich sportlich zu verbessern, aber auch, um auf seine Weise Zeit für sich zu verbringen.

Sie haben auch einen persönlichen Bezug zu Ihrem Forschungsthema – auch Ihr Großvater musste damals Zwangsarbeit leisten. Wie kam es dazu?

Mein Großvater war auch Zwangsarbeiter und kam ziemlich untypisch zur Zwangsarbeit. Er wollte sich zur Armee melden, hatte eine Einberufung zur Musterungskommission, meldete sich aber zu einem Termin, zu dem er nicht mehr angenommen wurde. Er bekam ein Dokument, dass er sich bei der Heereskommission gemeldet hatte und wurde nach Hause geschickt. Mit diesem Dokument wurde er von der Wehrmacht angehalten und als sogenannter ziviler Kriegsgefangener behandelt. Er hatte also an keinem Kampf teilgenommen, wurde aber als Kriegsgefangener behandelt, entsprechend zur Zwangsarbeit geschickt und Repressalien unterworfen – unter anderem im damaligen Lager in Soldau.

Sie sagten, er sei von der Arbeit im Westteil des Deutschen Reiches geflohen, aber vor der Ostgrenze erwischt worden. War das möglicherweise aus heutiger Sicht Glück im Unglück, dass er nicht in die Sowjetunion kam und in Sibirien landete?

Selbstverständlich, in den Kategorien eines kleineren oder größeren Übels wäre es aus heutiger Perspektive schlechter gewesen, wenn er nicht erwischt worden wäre und die Grenze zu Russland überschritten hätte. Dort hätte er in ein Lager im fernen Norden verbracht werden können. In diesem Sinn war das die bessere Lösung.

Herr Prof. Majewski, vielen Dank für dieses Gespräch.

Das Interview führte Uwe Hahnkamp.

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